AiMania Geschrieben 13. September 2021 Teilen Geschrieben 13. September 2021 (bearbeitet) Details Platform: PS5 + PS4 | Developer: Deck Nine Games | Publisher: Square Enix Genre: 3D Adventuere / “Playable Movie” Life is Strange, das Spiel, dass Dir als Spieler in den Bauch trat, weil Du Schuld warst, am Tod von Kate, falls es so kam. Niemand außer Dir, weil du keine Lust hattest dich mit ihrer Nebenhandlung zu befassen. Das Spiel, das selbst beim Schreiben dieser Zeilen nochmal emotional macht, weil es wie kein Zweites verstand, Chloes Wut und Verzweiflung zum Ausdruck zu bringen, als sie minutenlang auf das Auto einprügelt, in Before the Storm… Life is Strange 2 konnte dem Image nicht mehr gerecht werden. Ob True Colors es kann? Ich verrate es euch hier: Wenn man schon beim Titelsong heult, ist wohl ein neuer Rekord gebrochen, oder? Schließlich warben Reviews zu Teil 2 der Serie damals mit Worten wie "Wer nach 30 Minuten kein Tränchen drückt, hat keine Gefühle". Doch während Emotionalität kein Wettbewerb sein sollte, stellt sich trotzdem eine gewisse Befriedigung bei mir ein, als ich merke wie der Stoff wieder zündet, und ich schon nach wenigen Minuten spüre, dass der Life is Strange Hype Train endlich wieder fährt. Der Fluch von Teil 2 ist gebrochen. True Colors, das ist die Geschichte von Alex Chen, die schon seit ihrer Teenagerzeit die Gefühle anderer Menschen spüren kann, als wären sie ihre eigenen, mit allen Vor- und besonders Nachteilen, die ein Emotions-Schwamm so mit sich bringt. Eine wenig neue Idee, die zuletzt beispielsweise in der Netflix-Serie "Sense8" begeistern konnte, und deren Stoff zum Glück noch nicht verpulvert ist. Somit setzt das Franchise erneut auf die Einführung einer neuen “Superkraft” in das LiS Universum, auf deren Basis wir wieder in einer “geschützten” Umgebung austesten können, wie wir auf die skurrilsten oder schlimmsten Ereignisse im Leben reagieren würden. “Geschützt” in Anführungszeichen, denn wer die Reihe kennt, der weiß, dass nichts unsere Gefühle als Spieler*Innen schützen kann, wenn das Studio Deck Nine Games zu Höchstform aufläuft. Das Entwicklerteam, welches sich bereits für "LiS - Before the Storm" verantwortlich zeichnete und dort bewies, dass sie ein besonderes Gespür für dieses Franchise und seine Fans besitzen, hat erneut zum Schlag ausgeholt und auch ziemlich versenkt. Schon in den ersten fünf Minuten kann ich Alex' Tagebuch öffnen und finde auf Seite 1 den Eintrag zu ihrer verstorbenen Freundin Isabelle - Alex fand das Mädchen nach ihrem Suizid, und das Spiel schafft es, das Phänomen der "ansteckenden Depression" in drei Sätzen besser zu beschreiben als Fachlektüre. LiS True Colors zeigt also direkt wie der Hase läuft - Alex’ Emotions-Radar ist auch gefährlich für sie selbst, und im Verlauf der Geschichte erleben wir, wie Alex diese Tagebuchseiten recht therapeutisch weiter und weiter befüllt, beeindruckend getextet, mit den Emotionen die sie durchleben “muss” um den Menschen in ihrer Umgebung zu helfen. Die Balance wird jedoch gehalten, nicht nur mit fröhlich bunten Farben und liebenswerten Charakteren. Auch mit witzigen und liebevollen Ausflügen in andere Spielgenres. Ein bisschen so, als liefe man durch einen hellen Korridor und von rechts und links zerren einen Hände immer wieder ein bisschen auf die dunkle Gangseite, aber nur ein Stück. Als Alex nämlich in ihre neue Wahlheimat zieht, in der sie ihren Bruder wieder trifft, nachdem die beiden durch das Pflege-System auseinandergerissen worden waren, da hat sie sich eigentlich gut im Griff, kennt ihre Kräfte gut, aber fürchtet sie. Das hier ist keine Origin-Story - bis auf ein paar Ausrutscher, in denen Ihre Kräfte sie übermannen, kann Alex eine solide und absolut liebenswerte Heldin für uns sein. Obwohl sie erst im Verlauf lernt, dass sie auch ganz neue Tabus brechen kann, wie den Menschen mit zu heftigen Emotionen die Gefühle wegzunehmen, vermeintlich um ihnen zu helfen. Eine mögliche Spiel-Entscheidung mit weitreichenden Konsequenzen! Im Verlauf versuchen wir einen Mordfall und eine lokale Verschwörung aufzudecken, die das kleine Städtchen auf ganz unterschiedliche Weise erschüttern, während Alex allen Bewohnern mit ihren persönlichen Problemen auszuhelfen versucht. Ob nun die langsam dement werdende Floristin oder der eifersuchtskranke Problemnachbar - Die kleinen Einblicke in ganz normale Menschen mit großen Emotionen - Alex muss lernen sich ihnen auszusetzen ohne die Kontrolle zu verlieren, und bekommt die Chance, auch die positiven Aspekte ihrer Kraft kennen zu lernen - mit allen Aufs und Abs die dazu gehören, und uns mittendrin. Die Franchise typischen Merkmale fehlen natürlich nicht: Ich kann wie immer entscheiden, eine Romanze mit einem Mann oder einer Frau zu beginnen, hier der charmante Ryan oder die nerdige Musikliebhaberin Steph, oder das ganz bleiben zu lassen. Aber auch andere Entscheidungen haben so deutliche Konsequenzen, dass ein erneutes Spielen sich mehr als lohnt, um herauszufinden, was alternativ hätte passieren können. Technisch scheint das Spiel zum ersten mal nicht ganz auf der Höhe zu sein, die PS5 Version lädt im Vergleich so langsam wie ein PS4 Spiel und hat - abgesehen von der fantastischen Optik - mit Next-Gen wenig zu tun. Auch Standbilder, Artefakte/”Pixelfehler” beim Laden sind nicht selten, sie stören jedoch kein bisschen, schaden weder dem technischen Spielfluss noch der Immersion wirklich, dafür gehen sie zu schnell vorbei. Leider zeigen diese technischen Schwächen jedoch deutlich das Problem auf, welches alle Entwickler haben, die noch für PS4 UND PS5 veröffentlichen wollen - eine der beiden Konsolen muss Abstriche machen, und True Color scheint der PS4 mehr zu schmeicheln als der PS5. Keine guten Aussichten, wenn man bedenkt, wie lange seinerzeit noch PS4 Spiele für die PS3 mit veröffentlicht worden sind. Die deutsche Synchro ist wechselhaft, so treffen wir auf einen Gronkh, der seiner Rolle möglicherweise nicht komplett gewachsen war, dem Spiel mit seiner Stimme aber trotzdem gut tut, oder eine Lisa Vicari, bekannt aus der deutschen Netflix-Serie “Dark”, die in ihrer Rolle als Riley den Protagonisten fast die Show stiehlt - insgesamt können Alex und ihre neue Familie sich definitiv hören lassen! Leider nur das, denn die asynchrone Vertonung, dank der die Lippen sich in manchen Dialogen eine gefühlte Ewigkeit weiterbewegen, auch wenn der Satz schon lange beendet ist, wirkt so unangemessen altmodisch, dass ich während der betroffenen Dialoge immer wieder krampfhaft versuchte auf etwas anderes zu achten - ärgerlich, aber zum Glück nicht der Regelfall. Doch die großen und kleinen Stärken von Deck Nine Games, die lassen einen diese kleinen Schwächen schnell vergessen. Groß, wie wenn Alex bekannte Songs wie “Creep” zum Klang ihrer Gitarre anstimmt, oder kleine Details, wie Chat-Verläufe, oder dass sie schon im Blumenladen zu Beginn durchgehend und unbemerkt die Fäuste ballt und damit "pumpt" wie Menschen, die gerade etwas wirklich Schwieriges ertragen müssen. Es fällt kaum auf, man hätte sich diese Details quasi sparen können, so unauffällig, es sei denn man kennt diese Situationen, diese kleinen Tricks selber zu gut, dann fühlt man sich plötzlich verstanden. Das ist Life is Strange True Colors - Sich verstanden fühlen. Als Nachbar in Haven, als Spieler*In, als Mensch. Trophäen-Check Die Trophäen von True Colors sind mit denen der Vorgänger vergleichbar: Story-Abschlüsse und “Sammel-Gegenstände”, in Form von Erinnerungen, die Alex aus emotional geladenen Gegenständen herausziehen kann, und welche über eine nochmal deutlich verbesserte Kapitelauswahl in wenigen Minuten nachgeholt werden können, sind alles, worauf man sich einstellen muss. Somit kann man die Platin in einem Spieldurchgang und ohne Umwege erspielen - Vor allem aber - man kann die Geschichte genießen, ohne auf Trophäen achten zu müssen. So landet man mit knapp zwei Stunden pro Kapitel bei etwa zehn Stunden Spielgenuss. Fazit: True Colors schlägt zwar mit Twists und Tabu-Themen nicht so hart um sich wie Teil 1 der Serie es getan hat, beweist aber dafür, dass es nicht immer nötig ist, die Spieler*Innen so hart anzupacken um die gleichen Effekte zu erzielen. Die Charaktere, welche man schnell ins Herz schließt, und die Herangehensweise der Erzählung sind zwar anders, machen dem Fanliebling jedoch mehr als alle Ehre und heben das Franchise auf ein neues Level, welches unter dem Ruf von Teil 2 zuletzt eher zu leiden hatte. Technisch hätte man zwar noch die genannten Kanten polieren können, vermutlich wird der ein oder andere Patch diese Unreinheiten jedoch bald unbemerkt verschwinden lassen, und das Endprodukt leidet darunter nicht. Das Spiel konzentriert sich diesmal auf weniger Themen, welche dafür weit mehr in die Tiefe erkunden werden und dabei nicht langweilig werden. Eine gute Entscheidung und uneingeschränkte Empfehlung - Legt euch Taschentücher bereit, ihr werdet sie brauchen. 9,5 von 10 (Für eine zweite Meinung zum Spiel, könnt ihr hier den Spieletest von @Marloges lesen.) Bearbeitet 7. Januar 2022 von Aii 2 8 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
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